Ich werde oft im Rahmen meiner vielen Vorträge gefragt, was etablierte Unternehmen von Startups im Hinblick auf die Herausforderungen der Digitalen Transformation lernen können. Meine Antwort dazu lautet: „Den Mut, die digitale Herausforderung aktiv anzugehen.“ Startups sind risikoorientiert und bringen ihre digitalen Innovationen mit einem klaren Eroberungsanspruch auf den Markt, um sehr schnell viele neuen Kunden zu erreichen. Konzerne und der Mittelstand sind oftmals nicht so experimentierfreudig und scheuen aus einem Verteidigungsmodus gerade für die vorhandene Kundenbasis heraus einen radikalen Wechsel zu digitalen Geschäftsmodellen. Das wird auf Dauer aber nicht funktionieren!
An erster Stelle steht immer noch die Erkenntnis, dass man sich dem digitalen Wandel nicht entziehen kann. Alle Branchen und alle Geschäftsmodelle werden direkt oder indirekt durch elektronische Netzwerke beeinflusst. Um diesen Wandel aktiv anzugehen, kann man erstens intern die Online-Kompetenz über passende Fachkräfte im eigenen Unternehmen aufbauen, oder zweitens extern mit Start-ups aus dem Online-Bereich zusammenarbeiten, um die passenden elektronischen Geschäftsmodelle gemeinsam auszuprobieren und dann umzusetzen. Gerade die Kooperation zwischen innovativen Start-ups sowie dem klassischen Mittelstand beziehungsweise der klassischen Industrie kann zu einem Wettbewerbsvorteil für die digitale Transformation der Wirtschaft in Deutschland werden.
Dabei gilt es jedoch einiges zu beachten. Die unterschiedliche Unternehmenskultur ist sicherlich ein wesentlicher Faktor. Die Macher in Startups denken und handeln einfach anders als die Manager in einem klassischen Unternehmen. Auf der einen Seite haben wir viele schnelle Entscheidungen mit dem Wunsch der freien Entfaltung, die auf der anderen Seite auf eher langwierige Abstimmungsprozesse und organisationales Verhalten treffen. Hierfür die passende Schnittstelle mit Prozessen, aber auch Akteuren zu schaffen, so dass die notwendige Geschwindigkeit beim Start-up nicht gemindert und gleichzeitig das etablierte Unternehmen wirksam mit in die digitale Welt genommen wird, ist die Hauptaufgabe der Zusammenarbeit.
Natürlich kann man sich an dieser Stelle die Frage stellen, ob dieses Szenario für Startups überhaupt attraktiv ist oder es hier am Ende des Tages nicht vielmehr vor allem um Zu- oder Verkäufe geht. Ich finde, die Entscheidung über gegenseitige Beteiligungsmodelle sollte nicht zwingenderweise am Anfang der Zusammenarbeit stehen. Natürlich brauchen Start-ups neben einer guten Idee und einem Geschäftsmodell auch Kapital für die Umsetzung und den Aufbau. Hierfür gibt es aber inzwischen auch viele andere Quellen im Venture Capital-Bereich. Wichtiger ist die inhaltliche Win-Win-Situation: Mittelstand und Industrie brauchen die innovativen Geschäftsmodelle der Startups für den Einstieg in den Online-Wettbewerb, die Start-ups brauchen den vorhandenen Marktzugang von Mittelstand und Industrie, um kostenneutraler ein schnelles Kundenwachstum zu erreichen. Über diese Kooperation könnten wir in Deutschland auch den Nachteil ausgleichen, dass wir im Vergleich zu den USA als führende Online-Wirtschaftsnation über deutlich weniger Venture Capital für Startups verfügen, mit denen die sich das Wachstum im Markt quasi erkaufen können.
Also bleiben wir zunächst bei dem Kooperationsgedanken. Nehmen wir mal an, eine Kooperation ist entstanden, der Lernprozess läuft gut: Was kommt danach, was können Unternehmen dann tatsächlich auch in die Praxis umsetzen? Über die Kooperation können etablierte Unternehmen sowohl den eigenen digitalen Wandel begleiten als auch die eigene Wettbewerbsposition im Markt stärken, indem das klassische Kerngeschäft auch über elektronische Geschäftsmodelle bedient beziehungsweise unterstützt wird. Das kann sich sowohl auf Einkaufs- aber auch auf Verkaufs- und Handelsprozesse beziehen. Damit lernen sie die digitale Wertschöpfung mit digitalen Nullen und Einsen und bauen sich gemeinsam mit dem Start-up eine Informationsbasis auf, die zu einer verbesserten Vermarktung des Leistungsangebots auf beiden Seiten führen kann.
Aber auch das Startup kann viel vom Mittelstand lernen! Startups können und müssen lernen, wie man eine innovative Geschäftsidee in eine stabile Unternehmung überführt, wie Produkte und Services mit zugehörigem Wachstum nachhaltig skaliert werden und Kundenbeziehungen langfristig etabliert werden können. Klassische Prozesse in den Bereichen Steuern, Personal, Vertrieb usw. müssen in der Unternehmensführung und -entwicklung berücksichtigt werden. Hier können der klassische Mittelstand und die Industrie ihre Stärken ausspielen und dann dem Startup helfen, denn schließlich haben sie das schon mal erfolgreich gemacht.
Am Ende des Tages wird sich zeigen, welche Kooperation mit welchen Ergebnissen zwischen Startups und Mittelstand geschmiedet werden können. Ob das dann ein Lern-, Entwicklungs-, Partner- oder Beteiligungsmodell wird, muss der Einzelfall entscheiden. Die gute Nachricht ist, dass man dies nicht direkt am Anfang einer Zusammenarbeit entscheiden muss. Das kann und darf sich entwickeln! Wichtig ist nur, dass man überhaupt einmal anfängt zusammenzuarbeiten. Und dafür sollte gelten: Warum nicht?