FDP-Vorsitzender Christian Lindner erzählt im Interview mit SalsUp Gründer und The Grow Chairman Bernhard Schindler, warum Deutschland Nachholbedarf beim Thema StartUp-Kooperationen hat und was getan werden muss, um die Wirtschaft für eine erfolgreiche Zukunft aufzustellen.
Ein herzliches Willkommen Ihnen Herr Lindner und schön, dass Sie sich Zeit nehmen für die größte Roadshow im DACH-Bereich The Grow.
Herr Lindner, 99 Prozent aller StartUps wandern ins Ausland ab, in vermeintlich StartUp-freundlichere Länder. Was muss die Politik tun, um Deutschland als Standort für junge Unternehmen und StartUps insgesamt wieder attraktiver zu machen?
Wir müssen ein gründerfreundliches Land werden. Das ist eine Frage der Mentalität, die Leistung und Risikobereitschaft belohnt und nicht nur mit Häme oder Spott auf Scheitern antwortet. Aber es gibt auch ganz harte Rahmenbedingungen für die Attraktivität eines neuen Geschäfts, für StartUp-Unternehmen. Beispielsweise die Rahmenbedingungen für das eingesetzte Kapital. In unserem Land ist es aufgrund des Steuerrechts so, dass die investierten Gelder nach Veränderungen der Gesellschaftsstruktur bei der Steuer später nicht als Ausgabe oder Verlust angerechnet werden. Dieser sogenannte Verlustvortrag erlischt, wenn sich die Gesellschaftsstruktur wesentlich verändert. Das ist für langfristige und sehr kapitalintensive Branchen, wie die Biotechnologie, ein enormer Mangel am Standort Deutschland. Auch Fragen der Mitarbeiterbeteiligung in StartUp-Unternehmen sind steuerlich unattraktiv.
Zwar hat die Große Koalition Änderungen angekündigt, sie bleiben in der Praxis aber so minimal, dass davon keine Stärkung der Attraktivität Deutschlands insgesamt ausgeht. Und dann geht es um die Wirtschaftsfreundlichkeit insgesamt: ein wirtschafts- und wachstumsfreundliches Deutschland ist auch attraktiv für StartUps. Da gibt es freilich viel zu tun.
Wir beobachten das Problem, dass viele Mittelständler keinen Bedarf sehen, in StartUps zu investieren oder wissen nicht, wo und wie sie am besten investieren sollen. Auch bemerken wir des Öfteren, dass viele Unternehmer frei nach der Devise „das war früher schon so“ handeln. Welche Weichen müssen gestellt werden, um die Investitions- und Innovationsträgheit im Mittelstand zu durchbrechen?
Hier sehe ich eine Aufgabe für die Wirtschaftsminister in Bund und Ländern, unsere traditionellen Stärken der Schlüsselindustrien und der Familienbetriebe des Mittelstandes mit der StartUp-Kultur zu verbinden. Das allein ist nicht nur eine Frage des Gesetzgebers, sondern auch der Schaffung von Begegnungssituationen und von Plattformen. Freilich muss auch gesetzgeberisch gearbeitet werden, etwa im Bereich der steuerlichen Forschungsförderung, die für KMU gar nicht praxistauglich ist. Auch muss es öfter gelingen, Spitzenforscher aus den Hochschulen mit Unternehmen zu vernetzen, damit die Ideen aus der Wissenschaft auch in konkrete Produkte umgemünzt werden. Das Unternehmen Biontech hat beim Corona-Impfstoff gezeigt, was geht. Dieser Fall ist allerdings für unser Land nicht repräsentativ, sondern nur eine Inspiration, wie es laufen könnte.
Welchen Tipp können sie KMU und mittelständischen Unternehmen geben, wenn es darum geht, sich wie im Fall Biontech für die Zukunft gut aufzustellen? Ist die Kooperation von StartUps und Mittelstand hier die Lösung? Zum Beispiel in Hinblick auf Digitalisierung.
Ich empfehle einen StartUp-Geist auch, um etablierte Geschäftsmodelle auf den Prüfstand zu stellen und neu aufzustellen. Der Wechsel der Generationen ist dabei in vielen Betrieben schon heute Gelegenheit und Anlass zugleich. Es geht nicht darum, das Bewährte zu überwinden, sondern es zu kombinieren mit neuem Pioniergeist, mit neuen Antworten, mit neuen Ertragsmodellen, die die Digitalisierung hervorbringen kann. Es geht auch darum, neue Köpfe in die Unternehmen zu holen. Und deshalb ist es eine Chance, mit den traditionellen Stärken und neuen Methoden und neuen Köpfen andere Wege zu suchen.
Die FDP selbst hat eine solche Erfahrung gemacht. Als wir als etablierte Partei 2013 aus dem Bundestag herausgewählt worden sind, haben wir es begriffen als die Chance zur Neuaufstellung. Nicht nur in der Sache, sondern auch in den Methoden. Wir haben die Frage gestellt, warum es uns gibt, nämlich, um die Freiheit für die Menschen zu sichern und nicht, um einigen wenigen Politikerinnen und Politikern Mandate. Und wir haben unsere interne Arbeit stark kollaborativ und digital aufgestellt. Etwas, was uns in der Pandemie jetzt zugutegekommen ist und was vorbildlich auch für andere sein kann.
Leider geht uns dieser Pioniergeist auch immer mehr verloren, denn: Nicht nur viele StartUps wandern aus Deutschland ab. Auch ein großer Teil unserer Schlüsselindustrien. Ein Blick über den Ozean reicht dafür aus. Was können wir tun Herr Lindner, um diesen Trend zu verlangsamen oder zu stoppen?
Deutschland muss sich die Frage stellen, ob wir überhaupt ein industriefreundliches Land sein wollen, ob wir Produktion im industriellen Maßstab haben wollen. Ich habe Zweifel, ob das bei allen tatsächlich der Fall ist. Wenn ich sehe, wie schnell es Mehrheiten gegen Schlüsselvorhaben in der Infrastruktur gibt, wie schnell protestiert werden kann gegen neue Stromtrassen. Oder wie bestimmte Technologien, etwa die CO2-Kreislaufwirtschaft mit Speicherung von CO2, gleich eine Absage generell für die Entwicklung in Deutschland erhalten.
Es ist also auch eine Frage der inneren Einstellung unserer Gesellschaft und auch der harten Rahmenbedingungen in der Energie- und Klimapolitik. Die setzt stark auf Bürokratismus, auf Verbote, auf Subventionen, auf die Verteuerung. Aber zu wenig nutzen wir die Chancen der Technologien, sind zu wenig offen für den Ideenwettbewerb, um technologische Lösungen. Hier ist ein Schlüssel, um Klimaziele zu verbinden mit technologischem Fortschritt, um am Ende sogar neue Exportchancen auf den Weltmärkten zu erschließen. Konkret würde es darum gehen, die unterschiedlichen Subventions-Regime und einzelnen Vorgaben und Verbote zu ersetzen durch das zentrale Instrument eines CO2-Marktes. Wer CO2 emittiert, muss dafür zahlen. Und wer diesen Preis vermeiden will, muss innovieren und muss klimafreundlicher werden. Über die Zeit würden nicht nur die Klimaziele erreicht, sondern automatisch auch ein Technologie-Schub in unserem Land ausgelöst.
Das wäre natürlich eine absolute Win-Win-Situation, auch für uns StartUps Herr Lindner. Welche drei Hauptthemen müssen angegangen werden, um die Wirtschaft in Deutschland zukunftsfähig zu machen?
Erstens fehlen uns Fachkräfte. Wir müssen dringend investieren in die Verbesserung unseres Bildungssystems. Und wir brauchen ein Einwanderungsrecht, das unser Land attraktiv macht für die Top-Talente der Welt.
Zweitens ist unser Land in einer Selbstfesselung, sowohl der Wirtschaft als auch der öffentlichen Verwaltung. Es gibt so viele Regeln und Beschränkungen, dass selbst dort, wo es Mehrheiten gibt, die Planungs- und Genehmigungsverfahren so langwierig sind, dass kaum etwas passiert. Vom Faxgerät, das noch das Rückgrat unserer Verwaltung ist, mal ganz abgesehen. Hier müssen wir schlanker werden und digitaler zugleich.
Drittens brauchen wir einen Staat, der so schlank wird, dass er die Steuerlast zurückführen kann. Denn die ist im internationalen Vergleich längst nicht mehr wettbewerbsfähig. Und wir brauchen einen Staat, der zugleich in den Kernbereichen durch die Verschlankung so fokussiert und handlungsfähig ist, dass z.B. moderne neue Energie und Infrastruktur entstehen kann. Das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Denn gegenwärtig ist unser Staat vor allen Dingen gut bei den Konsumausgaben, für die er enorm viele Steuern und Abgaben einzieht. Aber im Bereich der Investitionen ist er schwach. Ein Staat also, der schlanker wird und sich zugleich auf Investitionen konzentriert. Ein solcher Staat ist möglich und nötig. Und am Ende des Tages wird dadurch die Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Dynamik so gestärkt, dass uns auch neue Möglichkeiten für soziale und ökologische Ziele zuwachsen.