Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie a. D. © BPA/Steffen Kugler
Wie schätzen Sie die den Status quo der Startup-Szene in Deutschland ein?
Startups sind unsere Versicherungspolice für eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Wir haben in den letzten Jahren viel aufgeholt. München, Berlin, Köln aber auch in kleineren ländlichen Regionen haben wir eine lebendige Startup-Szene. Corona hat gerade die ganz jungen Startups stark gebeutelt, da es aufgrund der Beschränkungen wenige Möglichkeiten gab, Produkte zu bewerben und neue Absatzmärkte zu finden.
Deshalb ist es absolut notwendig, jetzt neue Fördermöglichkeiten zu schaffen, die es den Startups ermöglichen, ihre Geschäftsmodelle schneller auszubauen.
Was sollte die aktuelle Regierung beachten, um Gründer:innen gut zu unterstützen?
Wir brauchen bessere Wachstumsbedingungen für Startups in Deutschland. Wir haben zwar viele Unicorns, aber diese sind in der Wachstumsphase bislang darauf angewiesen, Geld aus Kapitalmärkten wie USA oder Singapur aufzunehmen. Deswgen haben wir mit der Regierung den Zukunftsfonds mit 10 Milliarden Euro ins Leben gerufen. Dieser hat das Ziel, über DACH-Fonds Finanzierungsrunden von deutlich über 30 Millionen Euro zu ermöglichen.
Deutsche Startups sind gegenüber Wettbewerben in anderen Ländern benachteiligt, gerade im Hinblick auf die Ermöglichung von mehr Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Erste Schritte wurden gemacht, aber es ist noch zu wenig. Wenn ein Startup mit einem guten Geschäftsmodell Aktienanteile anbieten kann, kann es IT-Spezialisten an sich binden, ohne die höchsten Löhe zu zahlen. Das ist gerade in der Anfangsphase von Bedeutung. Ich würde mir wünschen und hoffen, dass unsere beiden Minister für Finanzen sowie Digitales und Verkehr die bestehenden Regelungen rasch ausweiten, damit wir mit den USA mithalten können.
Deutschland fällt im Innovations-Index (WIPO) immer weiter ab. Warum? Was können wir dagegen tun?
Nicht nur der Index wird schlechter, auch auf der Liste der börsenorientierten Unternehmen findet man die deutschen nicht unter den wertvollsten, sondern im Mittelfeld oder im unteren Bereich. Innovation spielt sich zunehmend in Bereichen ab, die weniger mit klassischer Ingenieurskunst und mehr mit Digitalisierung zu tun haben. Wir sind nach wie vor in der Industrie führend, haben aber Nachholbedarf bei digitalen Geschäftsmodellen.
Es ist gut, wenn Mittelstand und Startups zusammenarbeiten, insbesondere im Bereich der Plattform-Lösungen für B2B. Wir sind jedoch weltweit sehr stark im Rückstand, wenn es um B2C Plattformen wie Amazon, Google, Microsoft oder Alibaba geht. Das sind Plattformen mit enormen Wachstumspotenzial und Marktmacht, die zum Großteil amerikanischen Unternehmen gehören.
Denken Sie das Kooperation von Mittelstand und Startups eine mögliche Lösung darstellen kann?
Die beiden Parteien sollten mehr kooperieren. Das ist auch im Interesse des Mittelstandes, dessen Anforderungen sich stark geändert haben. Sie müssen digitale Lösungen finden und Künstliche Intelligenz einsetzen, was aus eigener Kraft oft nicht leistbar ist. Oftmals wissen die Beteiligten aber nicht, wie sie zueinander finden sollen, deswegen brauchen wir Initiativen wie Ihre sowie staatliche Unterstützung.
Wir stellen fest, dass die Anforderungen an Innovation heute so stark gewachsen sind. Die „low-hanging fruits“ wurden bereits geerntet. Jetzt brauchen die Mittelständler so viel Know How und Kapital, dass es zu einer großen Hürde wird.
Ich sehe zwei Wege:
- Auftragsforschung des Mittelstandes fördern. Hierfür haben wir in der letzten Legislatur bereits die staatliche Forschungsförderung eingesetzt.
- Kluge Ideen wie den Co-Working Space der Bertelsmann-Stiftung, wo Mittelständler, die nach Lösungen suchen mit Startups zusammenkommen. Hier entsteht nicht nur inhaltlich sondenr auch personeller Austausch.
Das sind neue Wege, die wir gehen müssen und wir brauchen so etwas wie ein Matching in jeder Region, wie auch sie es mit ihrer Plattform vorbildlich ermöglichen. Digitale Lösungen brauchen auch eine Gebrauchsanweisung., damit sie gefunden und genutzt werden.
Welche Branchen werden Ihrer Meinung nach wirtschaftlich in den nächsten 10 Jahren besonders wichtig?
B2C-Plattformen, aber auch Energie und neue Mobilität. Autonomes Fahren. Innovative Startups und Unternehmen im Bereich von Mobilitäts- und Gesundheitsplattformen haben großes Wachstumspotenzial. Hier würde ich mir hier neuen Anlauf wünschen. Als Wirtschaftsminister habe ich die Initiative ergriffen und mit Lufthansa der Deutschen Bahn und anderen über eine gemeinsame Plattform gesprochen. Ich musste feststellen: viele denken nur in proprietären Lösungen. Wir müssen nun aber die Welt so nehmen, wie sie geworden ist, eben digitaler und dadurch offener. GetyourGuide ist hier ein tolles Beispiel und ein Vorbild für innovative Entwicklungen.
Wir haben mit dem Bundeswirtschaftsministerium vor etwa zwei Jahren eine wichtige Hilfe geschaffen, indem wir das Wettbewerbsrecht geändert haben. Sodass die Unternehmen, die den Markt sehr stark dominieren bei Missbrauch zur Rechenschaft gezogen werden. Dies soll nicht nur Platzhirsche in ihren Aktivitäten einschränken, sondern auch neue Plattformen Raum für Entwicklungen geben.
Mobilität ist eine Branche, die sich sehr im Wandel befindet. Welche Entwicklungen erwarten Sie? Können die deutschen Automobilhersteller hier (noch) Schritt halten?
Ich bin optimistisch. Unsere Autobauer haben erkannt, dass Weg zu alternativen Antrieben unvermeidlich ist. Wir haben das gemeinsam durch die Umweltprämie und Elektromodelle eindrucksvoll in Gang gebracht. Auch das autonome Fahren wird vorankommen. Das Unternehmen, das als erstes ein völlig autonomes Fahren (Level 5) auf dem Markt bringt, wird einen enorm großen Erfolg haben. Dieses Unternehmen muss aus Deutschland kommen.
Jedoch steht die Zulieferindustrie unter Druck. E-Autos haben eine geringere Wertschöpfungstiefe und fast alle Zulieferteile des Verbrennermotors finden dort keine Verwendung. Sie müssen dringend umstellen, damit sie auch auf dem Markt der EVs eine Chance haben. Die Batterie ist mit Abstand das wertvollste Teil im Elektrofahrzeug. Bereits vor drei Jahren haben wir die Batteriezellenfertigung gefördert. Heute haben wir zum Beispiel eine große Fertigung von Opel und Peugeot, die Tesla Gigafactory sowie die Ansiedlung von BASF und Northvolt. Diese haben viele Arbeitsplätze geschaffen und bieten viele Möglichkeiten für den Mittelstand, um dort Platz zu finden.
Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist – ich hatte mich auch vehement dafür eingesetzt – Tesla hier anzusiedeln. Das ist eine Win-Win Situation. Tesla hat hohes Interesse zu zeigen, dass sie die Qualität, die in Deutschland vorherrscht, halten können. Wir haben Interesse, als Land gesehen zu werden, das auch die besten E-Fahrzeuge produzieren kann.
Ich erwarte eine Kostensenkung und enorme Zunahme an Reichweite der Batterien, wenn ich die Entwicklungen sehe. Wenn sich autonomes Fahren auch bei der E-Mobilität durchsetzt, dann wird Fahren billiger. Ein Auto muss man dann nicht mehr kaufen, sondern per Smartphone bestellen.
So kann die individuelle Mobilität massentauglich werden – es ist eine Schlüsselbranche.
Als ehemaliger Bundesumweltminister wissen Sie, dass Nachhaltigkeit kein „Nice-to-have“, sondern ein „Muss“ für Wirstchaft und Politik darstellt. Welche Stellschrauben sind die wichtigsten, um gute und langfristige Ergebnisse zu erzielen?
Es kann nur dann funktionieren, wenn Nachhaltigkeit nicht länger nur Thema für Aktivisten und Idealisten ist, sondern ein Geschäftsmodell wird, mit dem man gutes Geld verdienen kann.
Wir haben in ganz Europa und auch weltweit sehr ehrgeizige Klimaziele. Deswegen werden wir viel stärker zu nachhaltigen Lösungen kommen müssen. Es wir darauf ankommen, Lösungen zu entwicklen die nachhaltig und wachstumsfördernd sind.
Wir haben hier eine gute Ausgangsbasis in Deutschland, weil wir eine hohe Ressourceneffizienz haben. Wenn die Produktion immer günstiger und materialärmer wird, entstehen gute Geschäftspotenziale. Ich wünsche mir, dass wir besonders diejenigen Startups gefördert werden, die auf diesen nachhaltigen Aspekt Wert legen.
Es ist auch eine Frage, die man auf der Zeitschiene beantworten muss:
Als man vor 10 Jahren angefangen hat, Gummi von Autoreifen zu recyclen, waren die Margen anfangs sehr schlecht und die Müllverbrennung bot höhere Preise als diese neue Branche.
Wenn man aber die Zahl der Altreifen betrachtet, die weltweit neu recyclet werden können, ist klar, dass hier ein großer Markt wartet.
Was bedeutet Innovation für Sie?
Innovation bedeutet für mich, dass ich Neuerungen, die auf dem Markt verfügbar sind, genau anschaue und abklopfe, wie sie mir helfen können, meinen Alltag zu organisieren und einfacher zu arbeiten.
Ich habe mich jetzt als Rentner schlau gemacht und habe an meinen unterschiedlichen Wohnorten und für das mobile Reisen, zwei PCs, einen Laptop und ein Smartphone, die alle synchronisiert sind. Das hätte ich mir früher nicht vorstellen können. Das musste ich Lernen – und bei jedem Menschen ist dieses Wissen über neue Möglichkeiten unterschiedlich ausgeprägt.
Ich bin sehr bedrück, wie wenig unsere Bildungspolitik im Gegensatz zu anderen Ländern auf die Herausforderung des Lockdowns vorbereitet war. Deshalb ist es wichtig, digitale Lösungen für Unterricht sowie Lern- und Lehrmaterial zu schaffen. Diese können sodann auch in Entwicklungsländern eingesetzt werden. Wir müssen junge Menschen befähigen, sich selbst zu bilden.
Was wünschen Sie sich von unseren (künftigen) Unternehmer:innen?
Wir können auf die allermeisten heute schon sehr stolz sein. Es gibt zwar noch zu Wenige, die sich selbstständig machen, da viele Angst vor Bürokratie haben, aber diejenigen, die es machen packen auch an. Diese Frauen und Männer sind es, die ihren Beruf und ihre Produkte neu erfinden. Der neuen, jungen Unternehmer:innen Generation verdanken wir viele Innovationen – hier könnte man gerne auch mal vor dem 50. Berufsjahr das ein oder andere Bundesverdienstkreuz vergeben.