pirmin wipf

14. Juli 2022

Wir müssen uns trauen, mehr über unsere mentale Gesundheit zu reden

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Pirmin Wipf ist Gründer von Circle for Leaders und Experte für emotionale Intelligenz im Management. Für ihn ist klar: „Die Welt braucht mehr wache und bewusste Managerinnen und Manager.” Im Interview haben wir mit Pirmin über seinen Weg aus dem Burn-out, das umfassende Thema mentale Gesundheit und seine Tipps zum Umgang mit mentalen Problemen gesprochen.

Pirmin, wie kamst du zu deiner heutigen Tätigkeit? Welche Story steckt dahinter?

Das ist eine längere Geschichte. Ich bin in einer Unternehmerfamilie – genauer gesagt in einem handwerklichen Betrieb – aufgewachsen. Trotzdem habe ich mich für eine Anstellung entschieden und 20 Jahre lang als Manager in einem Unternehmen gearbeitet.

Während meiner Karriere habe ich viele Erfahrungen damit gemacht, mit Druck umzugehen. Es ging alles steil bergauf…bis ich vor 5-6 Jahren in ein Burn-out gerutscht bin und ins Krankenhaus musste.

„Der Staudamm war voll – es entstand ein Fluss.“

Anschließend habe ich mit zahlreichen Kollegen gesprochen. Mir war es von vornherein wichtig, das Thema Burn-out nie zu tabuisieren – darüber sprechen war ein Teil des Heilungsprozesses. Die Thematik beschäftigt sehr, sehr viele Menschen. Je mehr Verantwortung man trägt, desto größer jedoch wird das Tabu. Es hängt über einem wie ein Damoklesschwert.

Ich konnte den Schluss ziehen, dass viele Menschen aufgrund von schlechten Führungskräften unter Problemen mit ihrer mentalen Gesundheit leiden. Darum haben meine Frau und ich gemeinsam Circle for Leaders ins Leben gerufen.

Was wäre, wenn Führungskräfte ganz anders mit ihren Mitarbeitern umgehen würden.

Was würde passieren, wenn CEOs menschlicher und nahbarer verhalten würde?

Dann würde sich für die ganze Firma etwas ändern!

Diese Vision hat mich in meinem Tun bestärkt und letztendlich dazu geführt, dass wir die Firma gegründet haben.

Letztes Jahr habe ich die – erneut von großer Verantwortung geprägte – Stelle, die ich nach meinem Burn-out angetreten habe, gekündigt und angefangen, diesen Weg voll und ganz zu gehen.

 „Wenn sich der CEO nicht ändert, ändert sich in der Firma gar nichts.”

Das Problem muss am Schopf – also am CEO – (an)gepackt werden. Dort haben wir den größten Einfluss und können am meisten bewirken. Es ist jedoch nicht gerade einfach, diese Art von Problematik direkt an oberster Unternehmensspitze zu adressieren. CEOs sind Menschen, die oft (unterbewusst) delegieren und nicht gerne reflektieren.

Wie kann man Anzeichen eines Burn-outs oder einer Depression zu erkennen?

Man muss den Mitarbeiter bewusst wahrnehmen, um Veränderungen zu spüren. Deswegen muss ich meine Kollegen, meine Führungskräfte etc. wirklich kennen.

Wenn sich Einstellungen, Charakterzüge oder die Art und Weise, wie Person lebt, negativ verändern, dann sind das eindeutige Indizien: Schlafstörungen jeder Art, Bluthochdruck, Herzrasen, stetiges Kranksein (durch geschwächtes Immunsystem), nicht abschalten können, immer präsent, Delegier-Schwierigkeiten, Rückzug, genervt sein/aufbrausend sein, unzufrieden sein, Vergesslichkeit, Abfall von Leistung und so weiter.

Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen Burn-out und Depressionen:
 

Burn-out = keine Krankheit, nur Symptome.

Wenn jedoch eine Summe an Symptomen zusammenkommt, dann kann es medizinisch kritisch werden.

Depression = ist die Krankheit aus der Folge von Burn-out-Symptomen

 
Wie kann ich als Mitarbeiter auf “Missstände” hinweisen oder Kollegen helfen, die ich als gefährdet sehe?

Das eigene einschreiten bzw. handeln ist immer situativ abhängig. Wenn die Person aber ein gutes eigenes Bewusstsein hat, ist Ansprechen immer gut (je nach Beziehung). Offenheit, Klarheit, Vertrauen und Wertschätzung sind wichtig, damit die Person das gut gemeinte Feedback und die Hilfe nicht nur auf, sondern auch annimmt.

Wenn Person jedoch bereits in einer recht späten Phase ist, dann ist es nicht zielführend, das Gespräch zu suchen. Sie oder er wird den Fehler bei sich selbst dann nicht erkennen.

Mit einer Person in Verbindung treten durch

  • „…mir ist aufgefallen, dass…“
  • „Kann ich dir helfen?“

ist häufig ein guter Anfang.

Wenn es das nicht angenommen wird, dann hilft nur Warten bis es eskaliert.

Als Führungskraft muss ich evtl. die Notbremse ziehen und kündigen, da es fahrlässig wäre, wenn weiterhin wichtige Interaktionen mit Personen, Waren etc. stattfinden. Es wäre ein zu großes Risiko für einen selbst und andere. Davor sollte man es jedoch immer erst mit Gesprächen, einem Coach/Hilfe versuchen.

Welche Methoden zur “Heilung” gibt es?

  1. Schritt = Selbsterkenntnis für die Veränderung (sonst muss ich mit schweren Folgen rechnen, medizinisch wie beziehungstechnisch)
  2. Distanz schaffen / Timeout nehmen: Jede Firma kann es sich erlauben, jemanden für 2-3 Monate nicht im Büro zu haben. Mental Health geht vor.
  3. Auseinandersetzen mit der Thematik
  4. Selbstreflexion, Körper & Symptome spüren und reagieren, Körper erholen lassen
  5. Herr der eigenen Gedanken werden
  6. Offenheit, mit anderen Personen (dem Chef) sprechen
     

Das alles hilft ungemein.

Welche Tipps kann man im beruflichen Alltag integrieren, um dem vorzubeugen?

  1. Pausen: Mittagspause wirklich und bewusst machen, gerne auch in der Natur
  2. Erden: Einfach mal die Türe schließen und durchatmen
  3. Work Life Integration
  4. Sport & Bewegung – Adrenalin abbauen und Glückshormone fördern
  5. Freude haben – wenn ich Sinn in meiner Arbeit sehe und Motivation habe, dann bin ich auf der guten Seite
  6. Entspannung & Meditation

Arbeiten macht auch Spaß, motiviert und tut gut, WENN der Mitarbeiter Sinn in seiner Arbeit sieht.

Einem Mitarbeiter, der den Sinn kennt, ist keine Arbeit zu viel.

Einem Mitarbeiter, der den Sinn nicht kennt, ist jede Minute zu viel.

Ist es heute häufiger als früher? Oder nur mehr Awareness?

Beides.

Zum einem wird heutzutage mehr darüber gesprochen. Das wird jedoch auch häufig als Ausrede genutzt und Mental Health als „Modeerscheinung“ abgestempelt. Zum anderen nimmt der Druck in der Arbeitswelt immer mehr zu. Druck wird oft von oben delegiert und viele Mitarbeiter werden Stresssituationen ausgesetzt, die es früher so nicht gab.

An sich kann man es als philosophische Frage sehen oder auch als Luxus-Problem:

Wir machen uns viele Probleme selbst, weil es uns so gut geht.

Wir werden immer kränker, obwohl sich die Medizin weiterentwickelt.

Wohin bewegt sich die Gesellschaft?

Wir werden sehr viele neue Antworten auf Mental Health Fragen brauchen. Das Thema muss adressiert und fokussiert werden und einen wichtigen Stellenwert in Unternehmen bekommen.

Was man jedoch (leider) beobachten kann, ist, dass Mitarbeiter generell immer ausgebrannter sind.

Welche Tipps würdest du insbesondere jungen Führungskräften mit auf den Weg geben?

Wenn man jung ist, macht man einfach mehr, kann mehr leisten und ist weniger müde. Mit der Zeit stellt man jedoch fest, dass mehr Erholung notwendig ist. Als Führungskraft muss ich mir bewusst sein, dass sich mein Körper verändert, um gut damit umgehen zu können.

Der menschliche Körper verändert sich circa bis zum 35. Lebensjahr. Bis dahin entwickeln wir noch psychologische Prozesse und Glaubenssätze. Viele beginnen erst danach sich mit ihrer mentalen Gesundheit auseinander zu setzen. Dann ist es aber viel schwieriger.

Jeder junge Mensch in einer Führungsposition sollte sich so früh wie möglich mit dem Thema Mental Health auseinandersetzen und Burn-out gekonnt vorbeugen – zum Beispiel durch Meditation. Leider beschäftigen sich aber auch Schulen z.B. noch nicht mit der Thematik.

Es liegt also an jedem selbst seine mentale Gesundheit anzupacken, zu schützen und zu pflegen. Man sollte früh damit beginnen zu lernen, sich ein gesundes Mindset aufzubauen und gesunde Ernährung, Sport und Bewegung in seinen Alltag einbauen.

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